Oben: Der Future Bus fährt teilautonom und kann problemlos – ohne Eingreifen des Fahrers – auch Tunneldurchfahrten absolvieren
Unten: Futuristisch mit einem Mix aus Ideen haben die Designer den Fahrgastraum gestaltet Fotos: Daimler AG
19.7.2016. „Autonomes Fahren“ heißt die Zauberformel für den Straßenverkehr, mit der künftig alles besser und sicherer ablaufen soll. Wie dies aussehen kann, zeigten die Stuttgarter bereits mit Pkw und Trucks. Nur der Omnibus, das umweltfreundlichste aller motorisch angetriebenen Verkehrsmittel, fehlte bisher. Somit war die Fahrvorstellung des „Future Bus“ auf Westeuropas längster BRT-Linie (Haarlem - Flughafen Schiphol - Amsterdam) eine Aufsehen erregende Premiere – was auch am Ex- und Interieur des Fahrzeugs lag; doch dazu später mehr.
Als Basis des Prototypen dient ein 12 m langer Stadtbus mit Euro 6-Dieselantrieb der aktuellen Citaro-Baureihe. Voraussetzung für den autonomen Betrieb ist der „CityPilot“, vom vor zwei Jahren vorgestellten „HighwayPilot“ adaptiert, mit dem Mercedes-Benz seinen schweren Lkw Actros autonom fahren lässt. Das nun auf den ÖPNV ausgerichtete System wertet Kamerabilder, Radarerfassung und GPS-Daten blitzschnell aus und verknüpft alles mit den Funktionen verschiedener Assistenzsysteme sowie modernster Verkehrstelematik; auf der hier abgespeicherten Grafik „City-Pilot Funktion“ ist das Zusammenspiel der Komponenten sehr gut dargestellt (Copyright der Grafik: Daimler Buses).
Teilautomatisierter Modus
Auch wenn die Technik vollautomatisch funktionieren könnte, gilt für den Omnibus derzeit noch, dass ein Fahrer mit an Bord ist, das Fahrzeug in Bewegung setzt und den weiteren Betrieb aufmerksam begleitet. An der ersten Haltestelle der BRT-Linie wechselt der Fahrer per Tastendruck in den teilautomatisierten Modus (was nach außen durch eine bläulich aufleuchtendes Lichtband signalisiert wird). Danach kann er das Lenkrad loslassen und den Fuß von den Pedalen nehmen – der Omnibus bewegt sich nun selbstständig, fährt automatisch an und beschleunigt auf eine Geschwindigkeit bis zu 70 km/h. Er hält sich exakt inmitten seiner 3,1 m breiten Fahrspur, weicht auch bei Höchsttempo davon nur maximal 20 cm nach links oder rechts ab – was selbst routinierte Fahrer auf Dauer kaum schaffen. Bremsvorgänge erfolgen behutsam, notfalls mit entsprechend hohen Verzögerungswerten (jedoch keine ABA-Funktion). Die Kommunikation mit den Ampeln – über Funk oder visuell mittels Kamera – verläuft problemlos und die Straße überquerende Fußgänger lässt der Future Bus geduldig passieren, bevor er wieder zügig anfährt. Haltestellen werden präzise angesteuert, die Abstände zu den Haltestegen bleiben stets identisch. Die Türen öffnen und schließen automatisch, Einklemmschutz inbegriffen. Tunneldurchfahrten, sofern sie beleuchtet sind, absolviert der Future Bus auch ohne GPS-Signal zuverlässig, die Frontkameras liefern dazu die visuelle Orientierung; zudem sind Bilder bestimmter Abschnitte im System hinterlegt. Darüber hinaus wartet die 20 km lange Teilstrecke mit einem Mix aus Geraden und zum Teil engen Kurven auf. Dies alles funktioniert zur Weltpremiere des Future Busses tadellos, dabei im regulären Linienbetrieb – inmitten der roten und blauen Stadtbusse der niederländischen Betreiber.
Überzeugende „Personenerkennung“
Der Fahrer hält bewusst die Hände vom Lenkrad, schließlich soll jeder sehen, dass der Bus autonom steuert, was man an den automatischen Bewegungen des Lenkrads auch nachvollziehen kann. Dennoch ist er wachsam, hat die große Digitalanzeige hinter dem Lenkrad, die über alle Fahrzustände informiert, fest im Blick. Kann der CityPilot eine Situation nicht zuordnen, fordert eine deutliche Warnanzeige den Fahrer zur Übernahme auf. Dies wird nur in der Theorie gezeigt, ist hier auf der Strecke während der Premiere überflüssig. Die Personenerkennung, im Truck gerade erst in Verbindung mit dem automatischen Bremssystem ABA 4 umgesetzt (was in aktuell verfügbaren Bussen noch ansteht) beeindruckt durch perfekt Reaktionen, wie auch der gesamte CityPilot.
Da Funktionsschalter eines herkömmlichen Stadtbusses bei teilautomatisierter Fahrt nicht benötigt werden – die Aktivierung von Türen, Beleuchtung oder Scheibenwischer erfolgt automatisch – sind die entsprechenden Bedienelemente nach links auf die Konsole unterhalb der Fensterbrüstung verlegt worden, womit ein Cockpit á la VDV in diesem Fahrzeug entfällt. Überflüssig sind auch herkömmliche Spiegel, denn außen angebrachte Kamerasysteme übertragen das Bild auf Monitore, die nahe der A-Säule sitzen.
Sicherheit bleibt Thema
Trotz beeindruckender Vorführung stellen sich Fragen: Was geschieht, wenn ein Fahrer einen Herzinfarkt bekommt und nach vorne auf das Lenkrad kippt; das könnte theoretisch einem Impuls gleichkommen, der dem System signalisiert, dass der Fahrer selber das Steuer übernimmt, falls er dann auch noch den Fuß auf dem Gaspedal hat. Ebenso könnte der Fahrer nicht in der Lage sein, auf die Warnung des Systems zu reagieren, dass er das Steuer übernehmen sollte. Doch derartige „Zufälle“ wären im normalen Betrieb ebenso heikel. Dennoch muss auch dies berücksichtigt werden, weshalb kontinuierlich in alle Richtungen weiterentwickelt wird. Eventuell wird es auch eine Freihanderkennung geben, die nach einer bestimmten Zeit den Fahrer optisch und akustisch auffordert, die Hände kurz ans Lenkrad zu legen; wird dies übersehen, leitet die Elektronik automatisch eine Zwangsbremsung ein, wie in den autonom fahrenden Pkw des Herstellers. Schließlich verlangt auch der Gesetzgeber entsprechende Vorkehrungen, denn derzeit dürfen automatische Systeme den Fahrer nur unterstützen. Allerdings arbeitet das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mit Hochdruck daran, den Weg für autonomes Fahren freizugeben, wobei dann immer noch sichergestellt sein muss, dass der Fahrer jederzeit eingreifen kann. Noch im Juli soll das Gesetz dazu stehen – wir warten einfach mal ab. Davon abgesehen ist der hier vorgesellte Future Bus mit einer Ausnahmegenehmigung des Regierungspräsidiums Stuttgart (entsprechend Paragraph 70 StVZO) unterwegs, basierend auf einem Gutachten des TÜV Rheinland. Er darf also trotz Abweichung von den üblichen Bau- und Betriebsvorschriften im Verkehr bewegt werden.
Designer haben sich „ausgetobt“, Stadtbus ein Erlebnis?
Während das autonome System die Technikfreaks jubeln lässt, soll der Future Bus auch anderweitig neue Akzente setzen, wie Daimler Buses-Chef Hartmut Schick es formulierte: Die Menschen sollten den nächsten Bus nicht nehmen müssen, sondern wollen. Busfahren soll also ein Erlebnis werden. Somit hatte das Design-Team augenscheinlich freie Hand und kreierte eine Interessante Mischung aus Funktion und Optik. Das ist in der Pressemitteilung so kreativ formuliert, dass ich diese Passagen zum Teil gerne im O-Ton wiedergebe:
Die harmonische Linienführung orientiert sich mit einer asymmetrischen Gestaltung an der städtischen Architektur. Ob Design, Beleuchtung, Türanordnung oder Informationssysteme – der Future Bus beeindruckt. So besticht die Frontpartie durch ihre klare Gliederung. Unter der Windschutzscheibe steht der Mercedes-Stern als Markenzeichen im Mittelpunkt. Von ihm gehen seitlich jeweils zwei weiße Lichtleisten aus. Die Designer bezeichnen sie aufgrund ihrer Form als „Paddel“. Ihre Beleuchtung in Weiß (manuell) und Blau (teilautomatisiert) weist auf den aktuellen Fahrzustand des Omnibusses hin.
Die Windschutzscheibe mündet oben in einer kompakten Zielschildanzeige. Ein Paneel deckt den Bereich über dem Fahrer ab. Dieser Kniff der Designer symbolisiert, dass der Fahrer an Bord des teilautomatisierten Stadtbusses am Steuer eine zurückgenommene Rolle spielt. Auf klassische Außenspiegel verzichtet der Technologieträger, stattdessen finden Kamerasysteme Verwendung, sogenannte Mirrorcams.
Die tiefe Seitenwand orientiert sich in ihrer Grundform am aktuellen Citaro. Deutlich wird dies zum Beispiel an den dynamisch gestalteten Radläufen. Die Seitenwände sind ebenso in silber gehalten wie die umlaufende Dachverkleidung. Sie verdeckt die Dachaufbauten und führt somit zu einem geschlossenen Erscheinungsbild. Die Verkleidungen sind bewusst asymmetrisch gestaltet. Sie orientieren sich damit sowohl an städtischen architektonischen Formen als auch streng an der Funktion. So deckt zum Beispiel eine Blende außen auf den Fenstern der linken Seite das Infoterminal auf der Innenseite ab.
Neu gestaltet ist ebenfalls das Heck mit einer schwarzen Grundfarbe. Das Paneel links oben nimmt die Gestaltung der Frontpartie auf. Die Ecksäulen sind wie ein Rahmen ausgebildet und vermitteln Stabilität. Sie gehen fließend in die Verkleidungen von Dach, Seitenwänden und Heck über. Neu sind ebenfalls die Rückleuchten. Der Streifen zwischen den Heckleuchten signalisiert wie in der Front den Fahrmodus: teilautomatisiert blau, weiß im manuellen Betrieb.
Offene Gestaltung, Doppeltüren nur in der Mitte
Der Fahrgastraum ist für die Verweildauer im Bus in drei unterschiedliche Zonen geteilt. An den Wänden reihen sich jeweils Sitze in Form von Designerstühlen in lockerer Anordnung auf. Neuartige Haltestangen nehmen die Idee des Parks auf, sie verästeln sich baumartig nach oben zur zweifarbigen Decke. Dort erinnert die Beleuchtung an ein Blätterdach. Informationen und Unterhaltung können Betreiber über großflächige Monitore im mittleren Segment des Fahrgastraums einspielen.
Gewohnte Pfade verlässt ebenfalls die Türanordnung. Die üblichen Türen in Höhe des Fahrerplatzes und nach der Hinterachse entfallen, stattdessen betreten und verlassen die Fahrgäste den Bus durch zwei doppeltbreite Türen zwischen den Achsen. Diese Türen sind mit Leuchtbändern gekennzeichnet – von außen bedeutet die Farbe Grün Einstieg, Rot Ausstieg – und beschleunigen den Fahrgastfluss in Höhe der Stehplatzzone zwischen den Achsen. Sie wird dadurch zur „Hauptverkehrszone“ im Stadtbus, denn hier konzentriert sich das Gros der Fahrgäste, die nur kurze Strecken zurücklegen. Damit werden gleichzeitig die anderen Bereiche des Innenraums beruhigt – ein Vorteil für Fahrgäste mit längerer Verweildauer an Bord.
Das elektronische Ticketsystem ist wesentlicher Teil der Konnektivität des Omnibusses – der Fahrer kann sich auf seine eigentliche Tätigkeit konzentrieren. Gleichzeitig beschleunigt das E-Ticketing den Fahrgastfluss erheblich, das bedeutet kürzere Verweildauer an Haltestellen und damit schnellere Reisezeiten und eine höhere Attraktivität für die Fahrgäste.
Macht autonomes Fahren überhaupt Sinn?
Welche Vorteile bringt das teilautomatisierte oder auch völlig autonome Fahren? Daimler Buses hat zunächst BRT-Linien (Bus-Rapid-Transit = Schnellbuslinien) im Fokus, mit überwiegend separaten Trassen – was nicht ausschließt, das in einem überschaubaren Zeitraum Stadtbusse auch völlig autonom durch Deutschlands Städte fahren. Vorteile ergeben sich durch eine stets gleichmäßige und schonende Fahrweise. Davon profitieren nicht nur die Passagiere, sondern vielmehr noch die Betreiber und die Umwelt; denn Kraftstoffverbrauch und damit die CO2-Emissionen sinken, Antriebsaggregate und Reifen halten länger. Somit lassen sich möglicherweise die Mehrkosten beim Erwerb eines derartigen Fahrzeuges harmonisieren, das irgendwann ohnehin Standard sein wird. Darüber hinaus erhöhen Systeme wie der CityPilot durch die Vernetzung mit Haltestellen, Ampeln und gegebenenfalls weiterer Telematik die Effizienz und Sicherheit im gesamten Betriebsablauf. Simples Beispiel: Bus und Ampel „wissen“, wann die Rot- oder Grünphase einsetzt oder flexibel einsetzen soll; somit kann das Tempo zur freien Durchfahrt angepasst oder spritsparend an eine Kreuzung heran gerollt werden. Fernziel aller am Straßenverkehr beteiligten ist eine konsequente Vernetzung vom kleinen Pkw bis zu großen Bussen und Trucks, womit zudem jeder Zwischenfall sofort bekannt wird und vorausschauend reagiert werden kann. Unfälle? Können leider immer passieren, sind jedoch erwiesenermaßen überwiegend auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen. Klar verunsichern Meldungen über Unfälle, wie kürzlich in den USA mit einem Tesla-Fahrzeug geschehen; andererseits hat es dort vermutlich an der Einsicht gemangelt, dass das betreffende Fahrzeug noch nicht völlig autonom fahren darf (SpiegelOnline, Süddeutsche).
Weitere Investition in Höhe von 200 Millionen Euro
Fehlt noch ein Wort zum Antrieb: Warum der Future Bus mit Dieselmotor und nicht als Brennstoffzellen- oder Batteriebus präsentiert wurde, war eher am Rande Thema. Es ist nachvollzielbar, dass der Hersteller zunächst eine Art Showcar vorgestellt hat, das auf allen möglichen Strecken zwecks Präsentation eingesetzt werden kann. Der Brennstoffzellen-Bus, den Daimler bereits seit vielen Jahren vorantreibt, benötigt eine aufwändige Logistik und der künftige Batteriebus wird gerade mit Hochdruck umgesetzt und soll 2018 Premiere feiern. Darüber hinaus geht es mit viel Einsatz weiter: Immerhin 200 Millionen Euro will der Marktführer allein bis 2020 in die Weiterentwicklung seines Stadtbus-Portfolios investieren.
Zu guter Letzt gilt Mercedes-Benz bzw. Daimler Buses Anerkennung für das ideenreich umgesetzte Projekt. Um es abschliessend deutlich zu sagen: Der Future Bus ist eine Mischung aus Technologieträger und Studie, soll demonstrieren, was möglich ist; er wird so wie gezeigt nie serienmässig gebaut werden. Fakt ist jedoch: Busse und Bustechnik werden weiterhin interessant bleiben, haben das Potential, den Individualverkehr spürbar zu reduzieren sowie gemeinsam mit der Bahn das Fortbewegungsmittel Nr. 1 zu werden – zugunsten von Sicherheit und Umwelt.
Jürgen Görgler
Video zum Future Bus: Video 1, Video 2, Video 3
Interessante Idee aus China: Video
Fotos unten in der Galerie: Görgler (2), Daimler AG (6)